Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit. Die Vorfreude war riesig, als ich mir ein Ticket für das Rammsteinkonzert am 25.05.2013 in der Berliner Wuhlheide ergattern konnte. Im Folgenden möchte ich mal meine Erfahrung dieses Abends näherbringen.
Von meiner gebuchten Pension aus waren es nur ca. 3 Kilometer zum Park Wuhlheide, die ich auch zu Fuß zu bewältigen beabsichtigte – man muss ja fit bleiben.
Selten habe ich mir dermaßen gewünscht, die Wettervorhersage für den 25.05. läge daneben. Leider kam es am Samstag zu Dauerregen bei einer Temperatur von gerademal 8 Grad – und das Ende Mai. So galt es, den Körper in einige Schichten Kleidung samt wasserabweisender Jacke zu hüllen. Dann hieß es Aufbruch.
Den Regenschirm geöffnet marschierte ich die Straße „An der Wuhlheide“ entlang und kam mit schnellem Schritttempo innerhalb einer halben Stunde an dem Konzertgelände an. Dort erwartete mich bereits ein für die recht frühe Zeit nicht gerade kleiner Mob, der sich in Richtung Eingang schlängelte. Es war 15 Uhr – in zwei Stunden würden sich die Pforten öffnen und die Leute hektisch ihrem Drang nachgehen, eine möglichst gute Position für das Konzert zu erspähen.
Ich gesellte mich also dazu, hielt etwas Smalltalk mit den Wartenden. Der Regen drückte auf die Stimmung, den regelmäßigen Blick auf die Uhr hätte man lieber unterdrücken sollen. Dennoch ging die Wartezeit recht schnell um. Die Menge rückte dichter zusammen, als die Tore geöffnet wurden und die Security in Stellung ging.
Mein Rücken bedankte sich bei mir, dass ich nach dem ganzen Stehen auch mal wieder ein paar Schritte tat. Bisher hatte ich nie so strenge Kontrollen erlebt. Nicht, dass die Ordner nicht nett gewesen wären (was angesichts des miesen Wetters verständlich gewesen wäre). Vielmehr wurde penetrant darauf bestanden, die personalisierten Tickets mit dem Personalausweis abzugleichen. Gut, wer sich bereits etwas über Rammsteinkonzerte einverleibt hatte, wusste Bescheid. Und so hatte ich bereits brav meinen Ausweis zur Hand, als ich durch den Eingang geschleust wurde. Einmal kurz abtasten lassen und die größte Hürde war überstanden.
Gott sei dank dürfte ich meinen Regenschirm behalten, denn das Wetter machte keinerlei Anstalten, sich wesentlich zu bessern.
Hat man das Konzert „Live aus Berlin“ auf DVD gesehen, kommt einem die recht große Freilichtbühne mit dem welligem weißen Dach direkt vertraut vor. Vom Seiteneingang aus an den oberen Rängen angekommen, schweifte mein Blick über den Innenraum, welcher sich bereits füllte. Schnell gönnte ich mir ein Bier sowie ein Brezel und machte mich zum Innenraum auf, dessen erste acht Reihen nun gefüllt waren.
In circa zehnter Reihe schlug ich relativ Mittig der Bühne Wurzeln und hatte einen sehr guten Blick auf das Geschehen vor mir. Nun hieß es weitere zwei Stunden auszuharren, ehe die Vorband erscheinen sollte. Nach kurzer Zeit entschied ich mich, den Schirm wieder einzupacken, immerhin hatte ich noch eine Kapuze. Der Raum hinter mir war ebenfalls schnell eingenommen und die Menge rückte dichter zusammen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Einige diese Enge schon als beklemmend empfinden.
Nachdem alle mittlerweile gut durchnässt waren und der Rücken sich wieder zu Wort meldete, fing endlich die Vorband Kraftklub an. In letzter Zeit vor allem wegen des Boykotts der Band Frei.Wild beim Echo in den Medien. Und das schienen einige Rammsteinfans nicht vergessen zu haben. Mit ohrenbetäubenden Buhrufen und massenhaft in die Höhe gestreckten Mittelfingern wurde die Band in Empfang genommen. Es spielte sich scheinbar das gleiche Bild wie am Tag zuvor ab, an dem Rammstein bei trockenem Wetter auftrat, denn der Frontmann ging direkt auf die versammelten Hater ein.
Ich muss zugeben, dass Kraftklub nicht gerade das spielen, was meinem persönlichen Geschmack entspricht. Dennoch halte ich es für überzogen, diese Band so sehr herunterzumachen, denn für die an den zwei Tagen herrschenden Verhältnisse machten sie ihre Sache ordentlich. Nach gut einer Stunde war auch ihre Spielzeit vorüber, ehe sie mit einer Mischung aus Buhrufen und Applaus verabschiedet wurden.
Es war jetzt kurz nach acht. Nun musste das Bühnenbild noch hergerichtet werden. Der riesige Kraftklub-Vorhang wich einer mit Zellen gefüllten grauen Wand, damit man von den Arbeiten hinter der Bühne nicht allzu viel mitbekam.
Gegen 21 Uhr ging es endlich los. Als die erste Gitarre hinter der „Wand“ ertönte, fing der Mob schon leicht an zu toben. Dann setzte das Schlagzeug ein. Kenner wussten sofort, dass es sich um die ersten Riffs aus dem Lied „Ich tu dir weh“ handelte. Die ersten Drums wurden synchron mit einem Feuerwerk, welches empor der Bühne explodierte, begleitet. Dann ging es los. Die Leute kreischten und jubelten Frontmann Till Lindemann zu, welcher in einem Funkenerguss von einer schwebenden Plattform langsam heruntergelassen wurde.
Für mich stellt „Ich tu dir weh“ einen der besten Opener da, den man sich wünschen kann. Der Song ist ein Midtempo Headbanger, der gerade im Refrain mit einer solchen Wucht rüberkommt, dass die ganze Menge sich nicht mehr auf dem Boden halten kann und wie wild umher springt. Selten habe ich erlebt, wie sich eine so gewaltige Energie nach der ganzen Wartezeit entladen hat.
Danach spielten Rammstein fast ihre ganze „Made in Germany“ Setlist runter. Es wurde ja bereits viel über die Liveshow der Band gehört, aber mit dieser Performance nähern sie sich der Perfektion an. Bei jedem Song erblickt man ein gänzlich anders Bühnenbild, was auf den vielfältigen Einsatz der Lichttechnik und Bühnenelemente zurückgeht. Man glaubt gar nicht, wie flexibel die zunächst starr wirkenden Ventilatoren, Scheinwerfer, Circlepods, Squarepods und Lichtkreuze zum Einsatz kommen.
Und die auf den Takt abgestimmten Flammen wie bei „Du Hast“ etwa spürt man auch in der zehnten Reihe noch gewaltig. Da vergaß man fast die nasse Kleidung, die an der Haut haftete. Ich als bekennender Rammstein-Fan habe mir schon sämtliche Videos und Auftritte einverleibt, ließ jedoch davon ab, schon in die aktuelle Festival bzw. Open-Air-Tour reinzuschauen. Und so erhielt ich auch noch einige Überraschungen.
Achtung Spoiler!
Da wäre zunächst das Intro des Songs „Rammstein“, das, gerade als Till Lindemann einsetzen wollte zum Lied „Bück Dich“ wechselte. Gut an der Nase herumgeführt, Herr Lindemann! Mein persönliches Highlight stellt die Zugabe dieses Konzerts dar. Es wurde doch tatsächlich die Piano-Version des Songs „Mein Herz brennt“ mit Flake am Klavier gespielt. Waren die Stücke zuvor meistens fetzig und laut, beweist Rammstein hier, dass sie auch einen ruhigeren Ton anschlagen können, dabei aber eine ebenso packende Atmosphäre aufbauen können.
Last but not least gab es eine Besonderheit, die wohl einmalig ist: während des Songs „Sonne“ zog Till eine Heino Perücke samt Sonnenbrille auf und imitierte den Baritonsänger mit freundlichen Grüßen. So viel Selbstironie hätten der Gruppe wohl die größten Fans nicht zugetraut.
Natürlich durften auch die Live-Kracher wie „Links 2 3 4“, „Du Hast“ und „Ich Will“ nicht fehlen. Schön war auch der Neuzugang „Wiener Blut“, wenn auch ohne die tanzenden Puppen der LIFAD-Tour. Schmerzlich vermisst habe ich den Wegfall von „Haifisch“ und „Mutter“, was aber durch „Mein Herz brennt“ und „Ohne Dich“ wieder ausgeglichen wurde.
Nach gut anderthalb Stunden Spieldauer fand das regnerische Ereignis dann auch ein Ende, nachdem Herr Lindemann in „Pussy“ auf seiner Schaumkanone mal wieder in die Menge abspritzte. Dann wurde einem die nasse Kleidung wieder bewusst und in meinem Inneren spielte sich noch einmal die Textzeile: „Mir ist kalt. So kalt!“ ab.
Mein Fazit: Das erste Rammsteinkonzert für mich in der Berliner Wuhlheide war ein atemberaubendes Erlebnis. Trotz des miesen Wetters kam eine Stimmung des Publikums zum Tragen, die auch Till Lindemann am Ende honorierte: „Vielen dank, dass ihr alle da wart, trotz des Scheißwetters.“ . Die sechs Berliner haben es auch nach nunmehr knapp 20 Jahren Bandgeschichte noch drauf und zaubern eine nahezu perfekte Bühnenshow hin. Neulinge wie ich dürften begeistert gewesen sein, alteingesessene Fans mit viel Konzerterfahrung wünschen sich womöglich aber bald neues Futter, denn das letzte Studioalbum liegt bereits vier Jahre zurück – falls es überhaupt noch zu einem Neuen kommen sollte. Wohin soll denn die Reise gehen? Ich weiß es nicht. Aber was ich gesehen habe: es sind immer noch sechs Herzen, die brennen!